I said Yeah Yeah Yeah Woooh !!!
In der Zeit als ich viele junge Bands als Produzent betreut habe, war mein Standardspruch: wenn mich ein Ausserirdischer fragen würde, was ist das denn bloß mit diesem R’n’R- Ding, ich würde ihm Brown Sugar vorspielen und alle Fragen wären beantwortet. Ja, diese Nummer ist für mich die Quintessenz der „ersten 15 Jahre“, wenn man Stones- Idol Chuck Berry und seine Maybelline als Geburtsstunde begreift.
Die Stones werden ja in der landläufigen Einschätzung und insbesondere in engagierten Kreisen gerne als simple Truppe eingeschätzt, ausgebildete Musiker lächeln milde, sie fühlen sich – scheinbar – unterfordert. Ihre Hits werden als eine Art grobes Material betrachtet, uffezacke, humpapa. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein!
Was diese, die größte R’n’R- Band aller Zeiten nämlich von anderen Bands der sogenannten einfachen Rock- Musik unterscheidet, ist ihre ungeheure Raffinesse. Man könnte hier zwar auch eine ganze Reihe anderer komplexerer Stücke anführen, wie etwa Wild Horses, das über 2 Tonartwechsel und eine ganze Reihe Kadenzen mit zig Durchgangs- Akkorden verfügt, oder die mitreissende Jamsession am Ende von Can’t you hear me knockin‘, die jeder zeitgenössischen Jazzrock-Truppe zur Ehre gereicht hätte, als es den Begriff jazzRock noch gar nicht gab, aber ich hab BS besonders lieb, weil es eben eine, die typische Stones- Nummer ist. Mit 14 hab ich mich geweigert, zu irgendetwas anderem als Brown Sugar zu tanzen! Weil nichts mich so getragen hat. Gleich 2 Intro- Riffs steigern die Vorfreude auf einen wilden Ritt ins Grenzenlose und wenn Charlie Watts zur Strophe auf diesen stampfenden Tom- groove steigt, ist alles in Butter. Und dann kommt Jagger! Und ein Text, der mir auch schon, als ich kaum einen Satz verstand, mit 13, schon sehr viel erzählt hat. Über Südstataten, über Sklaverei über verbotenen Sex. Das ist natürlich ganz heikel. Heute steht der Song nicht mehr auf der Setliste. Wegen dem Text darf man vermuten. Es gab viel Aufhebens aus den Reihen der BLM- Szene. Erstaunlich, bei einem Song, der nach seinem Erscheinen für Befreiung, für Aufbegehren und Ekstase stand.
Aber weiter im Song. Keith ’fistelige‘ zweite Stimme war nie so wichtig wie hier, denn das gibt diesem schmutzigen Kaschemmen-Charme noch einen hysterischen Kick obendrauf.
Im Refrain setzt unwiderstehlich Ian Stewart am HonkyTonk Piano ein, so wie es sein muß, und schon in der 2. Strophe kommt Bobby Keys dazu, das Saxophon übernimmt die untere, bassartige Linie der Gitarren, die wiederum perfekt im Stereo tanzen und das vorführen, was Keith später, mit Ronnie Wood „the ancient art of weaving“, die erhabene Kunst des Webens genannt hat. Die wenigsten achten darauf, daß neben den beiden E-Gitarren von Keith und Mick Taylor auch eine akustische mitläuft, die fast Reggae- artig auf die unbetonten Zählzeiten gespielt ist. So wird gewoben!
Und dann kommt das Solo, nein, kein Gitarrensolo, es ist Bobby auf dem Zenit seiner Kunst. Nie klang ein Horn dreckiger, nie trat ein Saxophonist selbstbewußter, nein unverschämter nach vorne und röhrte: ich habs drauf und ich krieg Euch alle. Es ist das definitive Rock’n’Roll Saxophon-Solo, daran werden alle noch kommenden Generationen nichts mehr ändern. Für mich das Maß, wenn ich mit einem Saxophon-Spieler zu tun habe.
An der Person Bobby Keys kann man eine weitere, ganz wichtige Eigenschaft der Rolling Stones festmachen: sie haben seit den ersten US- Shows, die ja meist im Paket mit mehreren Acts durch’s Land geschickt wurden, immer den Kontakt zu amerikanischen, versierteren Musikern gesucht. Keine Berührungsängste. Ob das nun ein gestandener Rock’n’Roller wie Bobby war, später ein Country- Rock- Genie wie Gram Parsons oder eben all die schwarzen Stars, von Ike & Tina über Stevie Wonder bis zu Reggae- Kultfigur Peter Tosh, von denen sie eifrig lernten und mit den sie munter jammten. Nicht zu vergessen, all die Session – Musiker, die sie selbstbewußt aber respektvoll integrierten, angefangen bei Reebop über Billy Preston zu Lisa Fischer. Von den Sessions mit und Unterstützungsgigs für ihre Helden ganz zu schweigen. Es ist eben kein Zufall, daß 2 der heutigen Kerntruppe schwarz sind. Diese Fähigkeit, sich ohne Komplexe, aber auch ohne Arroganz auf amerikanisches einzulassen hat ihnen definitiv den „Roll“ gegeben, etwas, daß man für Geld nicht kaufen und unter dem Mikroskop nicht sehn kann!
Nun aber zum Grande Finale:
Der eigentlich simple Refrain zeigt erst im letzten, 3. Durchgang, was alles in ihm steckt, denn nun bleibt es bei diesem Auf und Ab zwischen 2 Akkorden, auf denen aber nun eine weitere, ganz besondere Eigenschaft eines Stones- klassikers zelebriert wird:
Der Endlos- Schluß!
Ist der letzte Refrain erreicht, macht sich eine wohlige Zufriedenheit breit, die in einen Schlußpart mündet ( wie hier meist der Refrain), der nach Wiederholung schreit. Genau so ist es bei Brown Sugar, dieses letzte Riff wird wieder und wieder repitiert. Aber ohne jede Langeweile! Man ist in einem zeitlosen Status Quo, einem ewigen Hier und Jetzt, an dem man nichts, aber auch gar nichts ändern möchte! Zwar sind es in der Original- Version nur 7 Durchgänge, aber live haben die Jungs diesen Part in den 50 Jahren seiner Bühnepräsenz zum äußersten gedehnt. Und das Warten wird ausgekostet, bis dann alle zum Allerheiligsten, zum Stones- Credo schlechthin einsteigen und mit Jagger I said Yeah Yeah Yeah – Woooh brüllen!
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Ein Gastbeitrag für das Buch : “60Jahre Rolling Stones” von Frank Steffan, 2022 Edition Steffan