Mal was zusammen machen...

»Meilensteine« also. Gut gewählt, der Titel, Herr Schlömer; ich bin gespannt auf noch viel mehr Beiträge weiterer Weggefährten. Und -innen, natürlich. Und jetzt, am 16. Januar 2022, fragt er mich, ob ich nicht auch … Aber gern doch.

Und schon beame ich mich zurück ins Jahr 1983. Ich bin Bassist der Schroeder Roadshow, und vor uns liegt ein Meilenstein unserer Laufbahn: Eine gemeinsame Tour mit den Kollegen von Ton Steine Scherben. Die auch wir natürlich als Legende kennen und bewundern, denen wir aber erstaunlicherweise noch nie begegnet sind. Mehr zum ersten Treffen kann man in meiner Biographie auf richschwab.de nachlesen – ich springe zum ersten gemeinsamen Auftritt, in den Club Ball Pompös in Kiel.

Ja, tolle Band, denke ich neidlos. Und freue mich auf die Tour. Nach zwei, drei weiteren Gigs stelle ich fest, dass meine Aufmerksamkeit vor allem ihrem neuen Zweitgitarristen gilt – er spielt eine für meinen Geschmack absolut geile Rhythmusgitarre, unaufdringlich aber unersetzlich auf den Punkt; er bewegt sich dazu, dass es eine Augenweide ist, und singt tolle Zweitstimmen. Sieht auch noch gut aus und hat eine sehr sympathische Ausstrahlung – ja, er gefällt mir.

Es ist ja nicht so, als sei ich in meiner Band mit hässlichen, unsympathischen oder gar schlechten Gitarristen gestraft, beileibe nicht – aber wie’s nun mal so ist: die Kirschen in Nachbars Garten … Mit dem würde ich gern mal was zusammen machen, denke ich. Nein: Mit dem muss ich mal was zusammen machen.

Irgendwann, ich glaube, es ist die zweite Woche der vierwöchigen Tour, ergibt sich die Gelegenheit zu einem Kennenlerngespräch (höchstwahrscheinlich in irgendeiner Hotelbar). Erfreut stelle ich fest, dass man sich gut mit ihm unterhalten kann, dass er auch Kölner ist – und dass er nicht nur zur Kifferfraktion gehört: Man kann – eine meiner Leidenschaften – wunderbar mit ihm versacken. (Eine Leidenschaft, der ich sogar ein ganzes Buch gewidmet habe – aber das nur am Rande …).

Und so ergibt es sich fast zwangsläufig, dass dieser Dirk Schlömer und ich den einen oder anderen Abend auf dieser Tour gemeinsam – eh … ausklingen lassen, auf teilweise abenteuerlichen Wegen in den merkwürdigsten Lokalitäten und Kaschemmen landen und eine Menge Spaß miteinander haben. Beispielhaft dieser Abend in … Saarbrücken? Nach der dritten »Letzte Runde!«-Meldung greifen wir auf die bewährte Versacker-Strategie zurück, einem Taxifahrer klarzumachen, dass wir noch sehr durstig sind, aber nicht im Geringsten interessiert an lauten Diskotheken, teuren Nachtclubs oder gar Bordellen, und dass er uns jetzt gefälligst dahin kutschieren müsse, wo man sich noch ein Weilchen gepflegt die Kante geben könne.

Macht er. Wir landen in einem Gewerbegebiet, hinter einer dunklen Tankstelle, und Herr Schlömer und ich fragen uns schon, ob der nette Fahrer uns verarschen will – aber da sehen wir über einer unscheinbaren Tür eine unscheinbare Leuchtreklame: Bier. Wir bedanken uns und gehen rein.

Und ich fühle mich sofort an die eine oder andere Halbwelt-Kaschemme meiner Heimatstadt erinnert. Schummriges Licht, dichte Qualmwolken, leise, uninteressante Musik (womöglich die ARD-Nachtmusik aus dem Radio), ein Wirt wie aus einer Kirmes-Boxbude, ein langer Tresen, an dem hier und da ein paar Gestalten hocken, von denen man den meisten wohl eher ungern nachts außerhalb dieses Raumes begegnen würde. Mit anderen Worten: Ich fühle mich gleich heimisch.

Auch wenn mir einige der Blicke, mit denen mein Begleiter begutachtet wird, nicht so recht gefallen wollen. Selbst in einer Kaschemme wie dieser fällt er auf – von den zitronengelben Mokassins über die mit Gaffa-Tape geflickte violett schimmernde Hose und die grün schillernde Paisley-Jacke bis zu den Kajal-umkränzten Augen und dem (toupierten?) wilden Schopf; ich kann das hier und da gedachte »Wat is’ dat denn für’n Wellensittich?« förmlich hören.

Aber ein schmählicher Rückzug kommt natürlich nicht in Frage (unser Taxifahrer ist eh schon wieder weg). Alleine hätte der Wellensittich es hier sicher nicht leicht gehabt – aber ich bin ja auch noch da. Ungeschminkt, mit einigermaßen kurzen Haaren, einem üppigen Backenbart, einer halbwegs zivilen Jeans, einem schicken schwarzen Hemd und einem blau-grau-kleinkarierten Jackett, in dem ich aussehe wie ein Mischung aus amerikanischem Tourist und kölschem Nachwuchsloddel. Ich bemühe mich um eine halb gelangweilte, halb finstere Miene, die hoffentlich eher auf Letzteres schließen lässt.

Zumindest gelingt es uns, unbehelligt zwei Hocker an der Theke zu ergattern und zwei Biere zu bestellen. Die wir sogar bekommen. Und mit dem ersten Zug halb leer trinken. Also schon mal kleine Pluspunkte sammeln. Freundlich grummelnd erzähle ich dem Wirt, wie froh wir sind, dank unseres netten Taxifahrers dieses wunderbare Etablissement gefunden zu haben und als Kölner in Saarbrücken nicht verdursten zu müssen. Sein angedeutetes Begrüßungslächeln beruhigt nicht nur uns, sondern offenbar auch etliche der Tresenhocker – sie wenden sich wieder ihren eigenen Getränken, Gedanken und Gesprächen zu.

Außer, beim zweiten Bier, Helmut. Der sitzt rechts neben mir und guckt immer wieder mal misstrauisch zu uns herüber. Wendet sich uns schließlich vollends zu und erkundigt sich, wer wir denn seien und wo wir herkämen.

Ein Gesicht, als hätte er die Hälfte seines Lebens damit verbracht, verprügelt zu werden, gut verteilte zweieinhalb Zentner Lebendgewicht, und mit einer seiner Pranken hätte er meinen Kopf zerdrücken können wie ein rohes Ei. Da ich darauf nicht sonderlich scharf bin, trifft es sich gut, dass unsere Gläser gerade leer geworden sind, also frage ich ihn, ob er eins mittrinken möchte. Da sagt er nicht Nein und taut ein Grad auf. Guckt aber weiter immer wieder skeptisch-missbilligend zu Dirk hin.

Hm. Erzähle ich ihm jetzt was von Schroeder und Scherben, von Rockmusik und Auftritten, von Land in Sicht und Anarchie in Germoney? Och, nö. Ich verrate ihm verschwörerisch, dass ich tatsächlich ein Kölner Loddel bin – und dass mein hübscher junger Begleiter daheim für mich anschaffen geht. Und dass wir dort aber »ein bisschen Ärger« gehabt hätten und deshalb vorsichtshalber ein paar Tage durch Deutschland reisen.

Helmut nickt – das versteht er. Er lässt sich nicht lumpen und gibt die nächste Runde aus.
Vollends beruhigt ist er, als der gewitzte Dirk ohne Zögern vergnügt in seine Rolle schlüpft und mich unterwürfig nach Kleingeld für den Zigarettenautomaten fragt. Und ich nicht in meine rechte Hosentasche greife, wo ich allenfalls noch ein paar Zehner fände, sondern in die linke – wo ich in meiner Eigenschaft als Schroeder-Kassenwart die Gagen und Spesen meiner Kollegen verwalte. Meine Hand kommt also mit einem ganzen Bündel größerer Scheine wieder zum Vorschein, von denen ich Dirk lässig einen hinblättere. (Den ich selbstverständlich am nächsten Morgen durch einen aus meiner rechten Tasche ersetzt habe!)

Nach dem dritten Bier wackelt Helmut ans andere Ecke des Tresens. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er auf den neugierigen, streitlustigen Blick hin eines Kumpels beruhigend abwinkt: Kein Grund zur Aufregung, die gehören zum Milieu …

Schlömer und ich trinken noch ein paar, dann bestellen wir uns ein Taxi – in zwei Stunden wird Tourbegleiterin Claudia Roth wieder zum Wecken zwitschern: »Bubeles! Frühstück! Um Noine isch Abfahrt!«. Schlimmere Foltermethoden sind wohl allenfalls Fingernägelausreißen oder Waterboarding.

Zugegeben: Wir können uns einen erleichterten Seufzer nicht verkneifen, als das Taxi losfährt.
Ja, denke ich unterwegs, wir müssen wirklich mal was zusammen machen – ich mag Gitarristen, denen man nicht lange erklären muss, was sie spielen sollen.

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