Hand ins Feuer
Mit einer ähnlich geilen Geschichte, wie die von Rich Schwab wortreich geschilderte Begegnung im verruchten Saarbrücken, kann ich leider nicht dienen. Komisch eigentlich, denn ich kenne Dirk noch aus der Schule, Gymnasium Köln-Zollstock, frühe 70er Jahre. Da ich bis zu meinem Erscheinen in Zollstock noch nicht sitzen geblieben war, befand ich mich zwei Klassen über ihm, so weit ich mich erinnere. Dass mir damals jemand aus „niedrigeren Klassen“ überhaupt auffiel, will schon was heißen. In diesem Alter ist ein Altersunterschied von zwei, drei Jahren wie eine ferne, nur schemenhaft wahrgenommene Welt. Dirk Schlömer befleißigte sich schon damals eines extravaganten Auftretens und seine oftmals wie selbstverständlich geäußerte Absicht demnächst Popstar zu werden, tat ein Übriges, um aufzufallen. Mein schulisches Gastspiel in Zollstock dauerte allerdings nur zwei Jahre, dann flog ich aus dem Laden achtkantig raus. Mit einigen dieser radikal-individualistischen Pennäler blieb ich allerdings auch danach in Verbindung, bis heute und Dirk zählt mit an erster Stelle zu diesem durchaus illustren Kreis. Wobei: Irgendwann verlor man sich trotzdem aus den Augen, spätestens als er im Jahre 2000 nach Berlin übersiedelte.
Es muss dann so um 2012 herum gewesen sein, als Dirk mit einem gemeinsamen Freund, Peter Deininger, wieder mal in Köln weilte. Eigentlich war ich mit Peter verabredet, aber Dirk war auch dabei und bei diesem Treffen stellte sich heraus, dass meine Erinnerung an ihn ziemlich verzerrt, um nicht zu sagen falsch war. Ich wusste natürlich von seinen zwischenzeitlichen, musikalischen Aktivitäten, aber ich hatte das alles verkehrt abgelegt. Warum auch immer, Dirk war für mich so etwas wie eine Art Kölscher David Gilmore. Ein fantastischer Gitarrist, ein Schöngeist, dem die Kompositionen nicht ausgefeilt und technisch kompliziert genug sein konnten. Ich hätte es zwar wissen müssen, aber erst bei diesem Gespräch im heimischen Köln wurde mir wieder klar, dass wir musikalisch eigentlich auf einer Wellenlänge liegen: Für ihn wie für mich sind die Rolling Stones die Inkarnation des genialen, unverwechselbaren Minimalismus, der Rockmusik nun mal innewohnt und der diese Musikform so besonders macht. Die Stones verkörpern all das mit einem nicht künstlich erzeugbaren Glamourfaktor auf eine Weise, die ihresgleichen sucht. All das wurde mir bei diesem Zusammentreffen in Köln schlagartig wieder bewusst.
Die Stones waren gewissermaßen der „kleinste gemeinsame Nenner“. Darüber hinaus spielten ähnlich gelagerte Interessen und Ansichten eine mindestens genau so große Rolle beim Wiederaufflammen dieser verschütteten Freundschaft. Als ich 2014 intensiv damit begann einen Film über den verstorbenen Fußballspieler Heinz Flohe zu produzieren, schwebte mir eine eigens dafür komponierte Filmmusik vor, die musikalisch die Essenz des Films wieder spiegeln sollte. Nur einem traute ich das zu und das war Dirk Schlömer. Es bedurfte keiner großen Erklärungen, um klar zu machen, was beabsichtigt war, er wusste sofort, was ich wie meinte. Flohe, der Spieler und der Typ waren zu Lebzeiten purer Rock´n Roll. Er war einer der anders aussah, einer, der anders spielte, einer, der anders lebte. Als Titelthema sollte ein Gitarrenriff her, das in seiner Urwüchsigkeit einem Stones-Riff in nichts nachstehen sollte. Dirk schüttelte es aus dem Ärmel. Einfach so. Unfassbar! Das Flohe-Riff war die akustische Zusammenfassung des 104minütigen Films. Man muss sich nicht im geringsten für Fußball interessieren, um die Absicht verstehen zu können. Wer das schlömersche Gitarrenriff hört, kann sofort intuitiv erkennen, um was es geht: Unzähmbare, überbordende Kraft in Kombination mit Eleganz und Kreativität.
Der Film „Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“ wurde zu einem großen Erfolg. Er wurde erfolgreich, weil Dirk Schlömer nicht nur die Einleitungsmusik komponierte, sondern weil er über die ganzen 104 Minuten hinweg einen Soundtrack lieferte, der eigentlich nur mit einem Wort beschrieben werden kann: genial. Dieser Soundtrack bestand längst nicht nur aus dem Erkennungsriff, sondern aus enorm einfühlsamen Passagen, die dem Film das gewisse Etwas verpassten. Ich will das jetzt nicht noch höher hängen als es war, aber sicherlich machte die Filmmusik einen Gutteil des Erfolgs aus.
Mit welcher Selbstverständlichkeit er in der Lage war quasi über Nacht Musikuntermalungen zu liefern, die eine unglaubliche Wirkung erzielten, ist gelinde gesagt sensationell.
Nach dem Flohe-Film entstand die Idee einen weiteren Film zu machen, der „nur“ eine bestimmte Spielzeit dokumentieren sollte: Die Saison 1977/78, als der 1. FC Köln das „Double“ gewann, also den gleichzeitigen Gewinn von Meisterschaft und Pokal. Besonders reizte mich an diesem Thema, dass es eine tatsächlich ungewöhnliche Epoche war. Nicht nur auf sportlichem Gebiet ragte diese Phase heraus, auch auf anderen Gebieten geschahen Dinge, die absolut ungewöhnlich waren. Die Stadt Köln konnte sich Ende der 70er Jahre tatsächlich in Sachen Kultur als ein Nabel der Welt betrachten, ganz im Gegensatz zu heute, wo alles nur noch billige Selbstsuggestion ist. Neben New York war Köln zum damaligen Zeitpunkt DIE globale Kunstmetropole. Aber damit nicht genug. Das, was früher München mal war und heute Berlin ist, war Köln damals: Die Partystadt schlechthin, nicht auf Ballermannniveau wie heute, sondern mit Style und Glanz. Zudem befand sich der 1. FC Köln auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Bedeutung und hätte – wenn er sich nicht selbst im Wege gestanden hätte – das werden können, was Bayern München heute ist. Diese Gemengelage reizte ungemein.
Wieder stellte sich die Frage, wie man dies alles musikalisch auf den Punkt bringen könnte. Natürlich gab es keinen Zweifel darüber, dass nur Dirk dazu in der Lage wäre. Und dennoch tat man sich anfangs schwer bei der Umsetzung. Der Link zwischen der Biografie von Dirk und dem Filmthema knackte letztendlich die Nuss. Er, Dirk Schlömer, beschritt zum damaligen Zeitpunkt seine ersten professionellen Gehversuche. Er spielte in der hoffnungsvollen Newcomerband „The Cöln“. Es gab eine LP-Produktion von damals, die Dirk aus der Schublade zog und die wir uns diverse Male anhörten. Die Musik von damals hatte eigentlich nichts an Kraft und Prägnanz eingebüßt. Eine Nummer aus dem The-Cöln-Repertoire stach besonders hervor: „Leavin´ Town“. New Wave vom Feinsten, sehr schnell, sehr kompromisslos, sehr zeitlos. Für den Trailer des Films „Das Double – Eine Zeitreise mit dem 1. FC Köln“, diente eine neue, von Dirk konzipierte Fassung als musikalische Basis. Im Laufe der Arbeiten am Film entstand aber immer mehr der Eindruck, als wenn die Originalfassung von „The Cöln“ so unschlagbar sei, als dass sie sogar als ganze Filmsequenz verwendet werden könnte. Wir haben es dann in der Endfassung auch tatsächlich gemacht und sind damit verdammt gut gefahren. Auch bei diesem Film lieferte Dirk einen kompletten Soundtrack ab, der wahrlich unter die Haut ging und die damalige Zeit, wie von Geisterhand, zurückholte. Der Film „Das Double“ bewirkte zudem, dass das gesamte musikalische Schaffen von „The Cöln“ zwei Jahre später, 2020, als 3fach-CD-Box mit dem Titel „The Cöln – Complete Works“ bei mir im Verlag erschien. Und hätte Corona keinen Strich durch die Rechnung gemacht, hätten wir gewiss intensiv versucht die Filmmusiken aus dem Flohe- und dem Double-Film in Form von Live-Konzerten auf die Bühnenbretter zu bringen. Einmal war das vor Corona noch eindrucksvoll gelungen, denn da kam es im Frühjahr 2019 in der Bonner „Harmonie“ zu einer Kombination aus Filmvorführung und Live-Präsentation der Filmmusiken. Es wäre zu schön, wenn man daran noch mal anknüpfen könnte.
Mal abgesehen von Dirk’s musikalischem Potential sei darauf hingewiesen, dass noch ganz andere Aspekte bei dem Double-Film eine entscheidende Rolle spielten. Als wir ziemlich unter Zeitdruck standen, um rechtzeitig zum nächsten Weihnachtsgeschäft mit der DVD auf dem Markt zu sein, stellte sich urplötzlich heraus, dass die Vorarbeiten zum Feinschnitt des Films vorne und hinten nicht ausreichten. Wir saßen damals zusammen im Schnittstudio in der Luxemburger Straße und wussten nicht mehr weiter. Was tun? Mit diesem Material konnte nicht gearbeitet werden, wir konnten entweder direkt nach Hause gehen und die ganze Sache beenden oder wir entschlossen uns von vorne anzufangen um das Unmögliche möglich zu machen. Dirk war extra aus Berlin gekommen, für ein paar Tage, um da und dort soundmäßig auszuhelfen, doch nun standen wir belämmert da und wussten, dass der Film nicht fertig werden konnte. Jedenfalls dann nicht, wenn wir nicht den fast hoffnungslosen Versuch unternehmen würden von vorne anzufangen. Dirk sagte damals, dass er an die ursprünglich eingeplante Woche eine weitere anhängen könne und bereit wäre über das rein Musikalische hinaus als eine Art Co-Produzent behilflich zu sein. An diesem Nachmittag entschlossen wir uns zu Dritt (mit Cutter Bernhard Redding) diesen Weg zu versuchen. Es waren unglaublich intensive 14 Tage, die wir damals gemeinsam erlebten. Es ging früh morgens los, eine Tasse Kaffee reingeschüttet, eine Kippe und dann ab ins Studio, stundenlang, bis ganz tief in die Nacht. Material sichten, Zusammenhänge herstellen, improvisieren, grübeln, ausprobieren, machen. Ohne Dirk wäre der Film damals nicht fertig geworden, er brachte einen Flow in den Schnitt, der das Musikalische auf den Rhythmus des Films übertrug. Das ist auch das Besondere an ihm: Er ist nicht nur Musiker, er ist ein Allrounder, der auch auf anderen kreativen Gebieten Besonderes leisten kann.
Vielleicht waren diese sehr speziellen Umstände des Zustandekommens der Grund dafür, warum der Film „Das Double“ diesen unvergleichlichen Charme entwickeln konnte. Der Film wurde am Ende sogar noch höher ausgezeichnet als der Flohe-Film. Beim 11mm-Filmfestival in Berlin wurde er, fast wie von selbst, zur „besten Produktion international“ gewählt. Nicht von einer Jury, sondern von einem neutralen, vielköpfigen Publikum. Ich war zwar der Regisseur und Produzent des Films, aber ohne Dirks journalistische und freundschaftliche Hilfe, in Kombination mit seinen ebenso großartigen Kompositionen, hätte der Film nicht so erfolgreich werden können.
Die geschilderten Dinge zeigen m. E. vor allem eins: Dirk Schlömer ist ein Multitalent, das auf allen möglichen Bühnen tanzen kann. Damit meine ich nicht das perfekte Adaptieren oder Kopieren von was auch immer, sondern das authentische Interpretieren aller erdenklichen Richtungen und Stile. Ohne Maskerade, nein echt und unverwechselbar. Sollten die Stones noch mal einen neuen Gitarristen benötigen, dann sollten sie in Berlin bei Dirk Schlömer anrufen. Sie würden es nicht bereuen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.